Mit den guten Erfindern sei es ganz einfach, fährt der Text fort. Sie seien schon erwachsen und würden Dinge wie „große Fernsehtürme, große Überseedampfer, Brücken und Düsenflugzeuge“ erfinden. Die kleinen Erfinder seien noch nicht erwachsen, erklärt Lornsen in seinem Buch weiter. „Deshalb erfinden sie trotzdem: kleine Fernsehtürme, kleine Überseedampfer, Brücken und Düsenflugzeuge und – kleine Fliewatüüts.“
Himbeersaft statt Benzin
Fliewatüüts? Was ist das denn? Nun ja, es ist eigentlich ganz einfach: Ein Fliewatüüt ist eine Maschine, die fliegen kann, wie ein Hubschrauber, die wie eine Ente auf dem Wasser schwimmen kann und tüütet wie ein Auto. Zudem hat das Fliewatüüt noch die besondere Eigenschaft, dass Himbeersaft als Treibstoff verwendet wird. Was auch sonst?
Erfindungen sind ein immer wiederkehrendes Motiv in der Kinder- und Jugendliteratur. Dabei geht es nicht darum, die Erfindungen der Realität nachzuahmen, sondern der Kreativität und Fantasie freien Lauf zu lassen. Jedes Kind – beziehungsweise jeder Kinderautor, der ja zu einem Teil irgendwie noch Kind sein muss – hat seine eigenen abenteuerlichen Ideen.
Die einen tüfteln an Maschinen, wie dem Fliewatüüt oder der Lokomotive Emma aus „Jim Knopf und die Wilde 13“. Diese Lok wird im Lauf der Geschichte mehrfach umfunktioniert. Mal fungiert sie als Schiff und U-Boot, mal als Luftfahrzeug. Stets ist Emma für Jim und Lukas als treue Begleiterin, die zum Ende der Geschichte sogar noch eine Tochter bekommt.
Andere basteln an kleinen Robotern oder Konstruktionen, die aus Gemüse Himbeereis machen – wie Tim in dem Kinderbuch „Die Elternfernbedienung und andere grandiose Erfindungen“. Zu diesen anderen grandiosen Erfindungen gehören beispielsweise Duftsocken, damit die Füße nicht mehr nach Käse riechen, eine Gut-Laune-Maschine oder Sonnenschirme, die Sonne machen.
Alle sollten ein bisschen Kind sein
Vor allem das letztgenannte Buch ist schon für die ganz kleinen Leser eine Inspiration. Aber auch für die etwas älteren gibt es ausreichend Lesestoff. Da wäre zum Beispiel die Trilogie des Linus Lindbergh: Linus wächst in einer Erfinder-Familie auf, aber seine Erfindungen reichen noch lange nicht an die seiner Verwandtschaft heran. Plötzlich ist sein Vater verschwunden und er begibt sich auf eine abenteuerliche Reise, um ihn wiederzufinden. Dabei spielen unter anderem eine Zeitmaschine und diverse Roboter wesentliche Rollen.
Grundsätzlich gilt: je verrückter die Erfindungen, desto besser! Und genau das ist das Schöne an ihnen – sie spiegeln das kindliche Denken wider, dem mehr oder weniger keine Grenzen gesetzt sind. Ein Fliewatüüt, das mit Himbeersaft angetrieben wird? Eine Maschine, um in der Zeit zu reisen? Warum denn nicht! Kinder wollen sich die Welt nicht in einen festen Kasten sperren lassen. Für sie wird das Unmögliche möglich und das ist auch gut so. Denn je älter man wird, desto mehr schrumpft die Welt zusammen. Man beginnt die Dinge in Schubladen einzusortieren und Wunder grundsätzlich zu hinterfragen. Das Magische und Unerklärliche aus der Kindheit wird verbannt und durch den Realitätssinn ersetzt. Das hat sicherlich seine Berechtigung und seinen Sinn, dennoch tut ein wenig Kind sein allen Menschen gut. Denn hey: Wie praktisch wäre es, sich eben mal zu der Freundin in Kanada zu teleportieren, um auf eine Tasse Tee vorbeizukommen? Und eine Küche, die sich selbst aufräumt, ist vermutlich auch ein Traum für jeden Haushalt.
Erfindungen zum Gegenstand der Kinder- und Jugendliteratur zu machen, ist in meinen Augen wichtig. Es weckt den eigenen Erfindergeist und regt die Kreativität an – Eigenschaften, die auch im weiteren Leben sehr nützlich sein können. Und es ist noch Luft nach oben, denn leider sind die meisten kleinen Erfinder immer noch Jungs. Daran ist nichts verkehrt, doch wie wäre es mal mit kleinen Erfinderinnen? Die können meistens nämlich genauso gut tüfteln, wenn man sie nur lässt. Wie auch schon in der Geschichte des Fliewatüüts gesagt wird: „Erfinder bleibt eben Erfinder – ganz egal, ob er groß oder klein ist. Hauptsache: Seine Erfindungen taugen etwas!“
Text: Mariel Reichard