Meine beste Freundin heißt Lor. Als wir uns kennenlernten, konnten wir gerade laufen und unsere Namen noch nicht aussprechen. Es ist lustig, sich alte Bilder anzuschauen, auf denen wir in Windeln im Sandkasten rumtollen, uns gegenseitig die ersten Zahnlücken präsentieren oder als Piratenbräute die Ozeane unserer Fantasie erobern.
Lors Mutter ist die beste Freundin von meiner Mama – auf diese Art und Weise haben wir sehr viel Zeit miteinander verbringen können, auch wenn 200 Kilometer zwischen unseren Wohnorten liegen. Wir waren unzählige Male gemeinsam im Urlaub, die Palette der gemeinsamen Erinnerungen ist groß, bunt und abenteuerlich. Unsere Mütter mussten viele Stunden an Tanz-, Theater-, Puppenspiel- und Gesangsvorstellungen über sich ergehen lassen, obwohl ich – rückblickend – meiner besten Freundin selten eine Chance gegeben habe, auch mal die Hauptrollen zu spielen. Heute lachen wir darüber – aber mit einem warmen Gefühl im Bauch, denn mit niemandem sonst konnte ich in meiner Kindheit so lange und intensiv in Fantasiewelten abtauchen. Unsere Mütter erzählen, man hätte uns nur zwei Wäscheklammern geben müssen und wir wären glücklich gewesen – denn auch daraus hätten wir irgendetwas gebaut und uns eine passende Geschichte dazu ausgedacht.

Unsere Freundschaft wurde noch mal inniger, als die ersten Handys unter dem Weihnachtsbaum lagen und Lor und ich uns austauschen konnten, wann immer wir wollten. Es gibt bis heute niemanden, der mich so gut kennt, wie sie – und umgekehrt. Dabei sind wir sehr verschieden. Sie ist eher raubeinig und unsentimental, ich möchte über meine Gefühle reden. Sie ist eine sehr gute Schülerin, der alles einfach in den Schoß fällt, ich bin eine gute Schülerin, die sich dafür aber ganz schön ins Zeug legen muss. Lor kann stundenlang Musikvideos anschauen, ich kann stundenlang Musik selber machen. Lor frisst Bücher regelrecht in sich hinein, ich hingegen brauche eine ganze Zeit lang, ehe ich ein Buch zu Ende gebracht habe. Lor und ich teilen auch keine gemeinsamen Hobbys. Aber trotzdem sind wir uns immer nah und können uns einhundert Prozent aufeinander verlassen.

Es gab zum Beispiel eine Zeit in meinem Leben, in der ich sehr mit Neid und täglichen Gemeinheiten zu kämpfen hatte. Lor war damals zu jeder Tages- und Nachtzeit für mich da. Sie war mein Fels in der Brandung und hat mich immer aufgefangen und wieder aufgebaut. Umgekehrt habe ich mich wie ein Löwe vor sie geschmissen, wenn auf dem Spielplatz wieder einmal irgendein Tölpel abfällige Bemerkungen über ihr asiatisches Äußeres machte. Und ich würde es auch heute jederzeit wieder tun!

Es gab sicher schon viele Momente, in denen unsere Freundschaft geprüft wurde, doch wir haben bisher alle Hürden genommen. Lor und ich, das ist eine Einheit und so wird es auch immer bleiben, da bin ich mir ganz sicher. So träumen wir bereits jetzt schon davon, eines Tages zusammen weite Reisen zu machen und vielleicht in derselben Stadt zu studieren und eine Wohnung zu teilen. Menschen kommen und gehen, aber wahre Freunde bleiben.