Als ich an diesem Morgen aufwache, bleibe ich erst einmal wie eingefroren liegen. Ich spüre etwas Seltsames auf meinem Gesicht. Als ich meine Augen öffne, erkenne ich, dass mein Gefühl von etwas sehr unangenehm scharfem im Bereich meiner Augen und meiner Nase herrührt. Durch leichtes Schielen erkenne ich schließlich, um was es sich handelt – die linke Pfote meiner Katze Nikita mit ausgefahrenen Krallen.

Nikita ist gerade sechs Jahre alt geworden. Sie schläft mit mir in einem Bett, schaut mit mir auf dem Sofa liegend Fernsehen und lernt mit mir. Diese Morgensituation kann ich ihr nicht wirklich übel nehmen, denn wahrscheinlich hat sie nur schlecht geträumt und wollte sich irgendwo festhalten – verletzt hat sie mich jedenfalls noch nie.

Geborgenheit und Nähe

Selbst wenn sie sich im Sommer viel draußen herumtreibt, kommt sie doch immer wieder nach Hause – und das nicht nur, um ihren Hunger zu stillen: Sie braucht schließlich auch ihre täglichen Streicheleinheiten. Ihr Schnurren zeigt mir ihr Wohlgefühl und ihre Dankbarkeit, während ich sie kraule. Und auch ich selbst fühle mich geborgen, wenn sie neben mir liegt – ganz besonders, wenn alle anderen aus meinem Haus ausgeflogen sind und ich sonst allein zu Hause wäre.

Im Winter mutiert Nikita zu einem Faultier – sie schläft fast den ganzen Tag und wagt nur für das Nötigste einen Blick vor die Türe. Es kann dann unglaublich entspannend sein, sie zu beobachten – sich einfach ihr gegenüber hinzulegen und ihre geschlossenen Augen zu betrachten. Schon aufgrund meiner Anwesenheit, ohne auch nur eine Berührung, beginnt sie zu schnurren. Und wenn man Probleme hat, ist sie die einzige, bei der man sich wirklich hundertprozentig sicher sein kann, dass sie das Anvertraute nicht weitererzählen wird.

Eine echte Freundschaft?

Auf der einen Seite spricht vieles dafür, dass man auch mit einer Katze befreundet sein kann, oder? Für mich wäre es eine schreckliche Vorstellung, wenn Nikita eines Tages nicht mehr da wäre. Wenn sie nicht nach Hause kommen würde oder tot auf der Straße gefunden werden würde. Auch wenn sie krank ist, leide ich mit ihr – denn sie bedeutet mir unglaublich viel. Ich verbinde zahlreiche Erinnerungen mit ihr. So ähnlich wie ich mich an einen Kinobesuch mit einer Freundin noch Jahre danach erinnere, so denke ich auch oft daran zurück, wie ich meine Katze das erste Mal aus ihrem Körbchen herausgenommen habe oder wie wir gemeinsam im Garten Schmetterlinge gefangen haben.

Darüber hinaus würde ich behaupten, meine Katze sehr gut zu kennen. Ich kenne ihre Lieblingsplätze, weiß, dass sie es war, die einmal wieder die Spitzen meiner Topfpflanze abgeknabbert hat: Und dass auch sie daran Schuld ist, dass meine Trinkflasche leer ist – weil sie es einfach nicht lassen kann, ihre Pfote hineinzustecken, und sie somit mit Wasser zu benetzen, um sie im Anschluss abzuschlecken. Trinken aus einem normalen Behälter ist für sie viel zu langweilig. Zudem gebe ich auch ihren Ansprüchen nach, mit dem Löffel gefüttert werden zu wollen, anstatt alleine zu essen. Und ich weiß, welche Berührungen Nikita genießt und welche sie nicht leiden kann.

Ich kann ihr Verhalten einschätzen und kenne ihre Eigenarten wie bei einer richtigen Freundin. Oftmals scheinen wir uns sogar blind zu verstehen. Auch kleine Streitigkeiten und Eifersüchteleien, wie ich sie aus menschlichen Freundschaftsbeziehungen kenne, treten ab und an auf.

Ich habe also durchaus Freundschaftsgefühle für meine Katze. Eine interessante Frage besteht jedoch darin, ob Nikita meine Gefühle tatsächlich erwidert. Sieht sie mich auch als eine Art Freundin an? Oder vermenschliche ich ihr Verhalten und interpretiere es daraufhin vollkommen falsch?

Eifersucht und andere Gefühle

Ein Indiz dafür, dass ich meiner Katze doch ähnlich wichtig bin, lässt sich in ihrem Verhalten erkennen, wenn ich mich mit etwas anderem beschäftige, als mit ihr: Wenn ich lerne oder lese, wird sie unglaublich schnell eifersüchtig und kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass ein Buch oder ein Laptop spannender sein kann, als sie selbst. Nicht selten legt sie sich einfach mitten auf mein Heft, in dem ich gerade Matheaufgaben löse, oder beginnt durch exzessives Auf-der-Tastatur-Herumlaufen, meine Arbeit zu stören. Hat sie es dann geschafft, sich mitten auf mein Buch zu legen, so beginnt sie augenblicklich zu schnurren, schließt ihre Augen und reckt ihr Köpfchen, sodass man sie einfach streicheln muss und ihr nicht wirklich böse sein kann. Das Klischee, dass Katzen die Diven sind, im Gegensatz zu Hunden, die eher als Diener ihres Herrchens fungieren, bestätigt sich also auch in meiner Katze-Mensch-Beziehung.

Darüber hinaus wäre vermutlich nicht nur ich niedergeschlagen, wenn meine Katze sterben würde, sondern auch Haustiere ihrerseits scheinen über den Verlust eines Herrchens traurig zu sein. Es ist nicht umsonst enorm schwer, für ein zwei- oder dreijähriges Haustier eine neue Familie zu finden, da Eingewöhnung an die neuen Personen sehr mühsam und manchmal auch vollkommen erfolglos sein kann. Die Tiere müssen dem jeweiligen Herrchen vertrauen. Er ist derjenige, der ihnen Futter gibt und sie in die Wohnung lässt, wenn es draußen regnet. Meine Katze selbst legt bereits ein auffällig beleidigtes Verhalten an den Tag, wenn ich nur für ein paar Tage in den Urlaub fahre. Selbst wenn die nette Nachbarin vorbeikommt, um ihr das notwendige Futter sowie die essenziellen Streicheleinheiten zu verabreichen, wird ihr Vorwurf „Wie konntest du mich nur so lange alleine lassen!“ mindestens noch drei Tage nach meiner Rückkehr deutlich.

Dennoch ist es schwierig, das Verhalten meiner Katze genau zu beurteilen. Ich kann sie beobachten, kenne häufig schon lange im Voraus ihre folgenden Handlungen und meine, ich könnte sie „verstehen“, ähnlich wie eine Mutter meint zu wissen, was ihr Baby möchte, wenn es schreit. Aber weiß ich wirklich, was meine Katze in diesen Momenten ausdrücken möchte? Und schon wieder landen wir bei der Frage, ob wir Menschen bei derartigen Interpretationen vielleicht einfach viel zu viele menschliche Eigenschaften auf das Haustier übertragen, das gerade vor uns steht.

Die Beziehung zwischen Haustier und Mensch, in meinem speziellen Fall zwischen Katzen und Besitzer, weicht also durchaus von der zweier menschlicher Freunde ab. Die Katze ist abhängig von seinem Besitzer, so wie es im Normalfall nicht ein Freund vom anderen ist. Auch wenn sie ab und zu Mäuse fängt, hätte sie in der Wildnis keinerlei Überlebenschance. Vielmehr muss sie von mir versorgt und durchgefüttert werden. Dadurch wirkt der Vergleich von der Mutter zu ihrem Baby erneut ähnlicher als zwischen zwei gleichberechtigten Freunden.

Da ich nur meine eigenen Gefühle meiner Katze gegenüber kenne und ihre nie herausfinden werde, muss ich mir überlegen, ob  ein Mensch mit seinem Haustier befreundet sein kann, dieses aber wiederum nicht mit demselben Menschen. Laut der Mehrzahl der Definitionen muss eine Freundschaft auf Gegenseitigkeit beruhen – und somit bleibt unsere Tier-Mensch-Freundschaftsfrage auf ewig offen.

Allemal besonders!

Wir merken also, dass alleine der Freundschaftsbegriff in seiner reinen Definition Schwierigkeiten aufweist. Denn was ist Freundschaft überhaupt? Ist es ein Gefühl? Sind es Verhaltensweisen, oder freiwillige Dienstleistungen, die man gegenseitig vollbringt? Ist es ein blindes Verständnis?

Noch während ich über all diese offenen Fragen nachdenke, springt Nikita auf mein Bett und macht es sich auf meinem Bauch bequem. Egal ob es Freundschaft ist oder nicht – genießen kann ich die ganz besondere Beziehung zu meiner Katze in jedem Fall!

Text: Lilith Diringer