Wir sind immer und überall erreichbar. Non-stop online. Doch was, wenn wir einmal eine Woche auf all das verzichten müssen? Wenn wir plötzlich alleine auf dieser Insel sind. Offline. Ganz ohne Kontakt zur Außenwelt? Ich bin fest entschlossen, eine Woche auf meiner Insel durchzuhalten.
Der Sprung ins kalte Wasser
Mitternacht rückt immer näher. Noch ist Sonntag, am Montag geht mein Experiment los. Ich tippe mir torschlusspanisch die Finger wund, zelebriere herzzerreißende Abschiede via Whatsapp. Verkünde und rechtfertige auf Facebook meine einwöchige Unerreichbarkeit. Dann schlägt die Kirchturmuhr zwölf, alles ist still und ich springe. Ins kalte Wasser, ins Ungewisse, in die mediale Leere. Die Strömung reißt mich mit und dann strande ich. Auf einer einsamen Insel – ohne Smartphone, ohne Survival-Kit und ohne Plan.
Und weil es so schön ist, verzichte ich auch gleich noch auf meinen Laptop. Und somit auch auf das Fernsehen, weil ich das, wie coole hippe Leute heutzutage, alles online mache. Schwarze Bildschirme und sieben furchteinflößende Tage starren mir entgegen. Sieben Tage, in denen ich ohne Whatsapp, Twitter und Facebook auskommen muss. 168 Stunden, in denen ich trotzdem irgendwie kommunizieren muss.
Montag: Mein Optimismus ist plötzlich offline
Eigentlich war ich zuletzt noch recht optimistisch. Aber jetzt, wo’s los geht, ist diese Zuversicht auf einmal offline: Was passiert auf dem Festland? In der Welt da draußen? Ich werde nichts, aber auch gar nichts mitbekommen. Wenn Merkel stirbt, oder der 3. Weltkrieg ausbricht – ich würde es erst Tage später durch Zufall erfahren! Erst jetzt wird mir klar: Mein ganzes Leben ist online! Überweisungen, Einkaufen, Stundenplan, Termine und noch viele andere überlebenswichtige Dinge. Was soll ich nur tun?
Dienstag: Probier’s mal mit Gemütlichkeit
Aber: Aufgeben ist nicht drin, bete ich täglich vor mich hin. Aufgeben ist nicht drin, nur weil ich am Marktplatz eine gefühlte Ewigkeit auf meine Mitbewohnerin warte. Nicht wissend, dass sie den Notizzettel vor ihrer Tür mit Treffpunkt und Uhrzeit heute Morgen schlichtweg übersehen hat.
Ich kann nicht ausrasten, nur weil die Terminverschiebung meines Französisch-Kurses per E-Mail stattgefunden hat und ich daher mutterseelenallein und verwirrt in einem leeren Raum sitze.
Ich stelle schnell fest: Ohne Organisationstalent im Gepäck ist ein internetfreies Leben nicht zu meistern. Tagespläne müssen erstellt, die kürzesten Wege errechnet und Treffen vereinbart werden. Und das alles im Voraus! Spontanität – was ist das? Da hilft bloß ein Mantra: Probier’s mal mit Gemütlichkeit!
Mittwoch: Es gibt da schon so ein paar Vorteile…
Aber dieses Inselleben kann auch seine Vorteile haben: Ich habe zum Beispiel meinen alten Radio-Wecker wieder ausgepackt. Von Musik geweckt zu werden, ist wirklich um einiges angenehmer als dieses nervige Handyklingeln. Außerdem habe ich wirklich viel Zeit, die es zu füllen gilt. So kann ich seit Langem mal wieder viel über mich und das Leben nachdenken.
Aber genug der ach so tollen Vorteile. Heute ist Mittwoch und ich muss der Wahrheit ins Auge blicken. Um ehrlich zu sein, geht’s mir schlecht. Es fängt damit an, dass ich nie weiß, wo ich bin, weil ich mich nicht mal eben mit diesem kleinen blauen Punkt auf der Karte orten lassen kann. Es geht weiter damit, dass ich keine Ahnung habe, wie viel Uhr es ist (eine Armbanduhr trage ich schon ewig nicht mehr!) oder welchen Tag wir haben. So verpasse ich gerade wichtige Termine, weil leider ALLES in meinem Smartphone gespeichert war.
Donnerstag: Heftige Entzugserscheinungen
Schließlich endet es damit, dass ich mich alleine fühle auf meiner Insel. Keiner interessiert sich für mich. Es gibt niemanden, der meine Fotos liked oder meine Posts kommentiert. Und niemand besucht mich auf meiner Insel. Aber: Wie sollte ich Treffen auch vereinbaren? Einen Boten zum Briefe überbringen wie Goethe und Schiller habe ich leider nicht.
Und dann wird mir klar: Ich vermisse das Internet nicht nur, ich leide an heftigen Entzugserscheinungen. Entzugserscheinungen durch meine Smartphone- und Internetsucht? Mittlerweile kann ich mir das sehr gut vorstellen. Die Entzugserscheinungen äußern sich zum Beispiel wenn ich mal wirklich die Chance habe, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen. So sitze ich in der Kneipe um die Ecke und sehe mir die Tagesschau an. Heute Nachmittag bin ich mit einer Freundin Kaffee trinken. Und als sie auf Toilette geht und ihr Handy auf dem Tisch liegen lässt, denke ich sofort: Ich könnte doch …. ganz kurz …. nur eine Minute …. Ach, ich bin verzweifelt! Und: Mir ist langweilig!
Samstag: Auf Selbstfindungstrip
Die freie Zeit führt mich ins Innere meiner eigenen Gedankenwelt. So viel Zeit, die ohne Smartphone verbracht werden muss, zwingt zum Nachdenken.
Am Samstag wird mir dann klar, dass es manchmal durchaus nicht schadet, Gedanken zu Ende zu denken, statt sie sofort via Facebook mit anderen zu teilen. Dass gefühlte 90 Prozent meines sonstigen Online-Seins überflüssig sind. Aber auch, dass ich süchtig bin. Süchtig danach, einfach alles überall und zu jeder Zeit sofort mit anderen zu teilen. Süchtig nach Likes und Aufmerksamkeit.
Sonntag: Bin ich abhängig?
Kann es wirklich sein, dass ich abhängig von Smartphone und Internet bin? Dass die Beiden mein ganzes Leben bestimmen? Dass ich ohne sie nicht mehr leben kann und will? Wie konnte es nur so weit kommen! Eine europaweite Studie hat sich mit dem Thema beschäftigt: Demnach soll fast jeder zehnte Jugendliche in Deutschland das Internet zu intensiv und in problematischer Weise nutzen. Ein Prozent der jungen Deutschen ist internetsüchtig.
Ich habe durch meine Woche Verzicht auf jeden Fall ein anderes Bewusstsein gegenüber meinem Medienkonsum entwickelt und nehme mir vor, Handy, Facebook und Co. in Zukunft gemäßigter zu nutzen. Vielleicht hole ich mir wieder eines dieser uralten Handys ohne Farbdisplay. Ich schaffe es am Sonntag jedenfalls friedlich einzuschlafen, ohne mir den Wecker auf 0 Uhr zu stellen.
Und ihr? Könnten ihr verzichten? Einen Entzug machen? So extrem wie ich müsst ihr ja nicht sein. Aber ihr könntet doch versuchen ein Bild zu malen, wie euer Leben ohne Internet und Mobilität aussehen könnte. Oder dreht einen Film! Beim Wettbewerb „jugend creativ“ könnt ihr dann mit euren Kunstwerken tolle Preise gewinnen.
Text: Andrea Lindner